Boris Klinge
Tunesien

Zwei Räder im Sand

Mit dem Motorrad durch die Wüste. Sand ist nicht gleich Sand. Es gibt harten Sand. Sand wie an Stränden, grobkörnig und fest, griffig. Es gibt weichen Sand, wie man ihn am Rande der Wüste findet, staubig und sanft. Es gibt wehenden Sand, treibenden Sand, wandernde Berge aus Sand. Und fliegenden Sand wie in einem Sturm - und der sticht wie mit heißen Nadeln. Und dann gibt es auch noch diesen einen Sand der Sahara, in dem ich bis zu den Knien eintauche. Er fühlt sich an wie weißes Pulver, weicher noch als Mehl. "Fesch-Fesch" nennen die Araber diesen Saharastaub, in dem unsere Enduros (spezielle Motorräder fürs Gelände) mit ganzem Rad versinken - als führe man durch ein Meer aus weißer Asche.

Tunesien ist Wüste für Anfänger, heißt es. Wer mit dem Motorrad oder dem Miet-Wagen die Wüste entdecken möchte, kann das hier gefahrlos. Wenn Sie mit dem Flugzeug anreisen, dann sollten Sie von Tunis, Djerba oder Monastir starten. Motorräder und Jeeps sind vor Ort zu mieten. Man kann auch eine organisierte Tour buchen. Wer lieber mit der eigenen Maschine unterwegs ist, sollte am Sonnabend die Fähre von Genua nach Tunis nehmen. Nach 22 Stunden Fahrzeit beginnt dann das Abenteuer. Nach einem kurzen Stück über die Autobahn Richtung Süden führen von Monastir und Hammamet kleine Straßen ins bergige Land. Oberhalb von Oueslatia regnet es. Wir kommen an einen Fluss.

Die Straße ist überschwemmt. Wir fahren hindurch! Grüne Oasen tauchen am Horizont auf, Dattelpalmen so weit das Auge reicht. Wir erreichen Tozeur. Rote Lehmziegelbauten und Luxushotels im arabischen Stil wie das "Dar Cherait" wurden harmonisch in die Landschaft gebaut. Im Hotel "Palm Beach Palace" stieg die Filmcrew des "Englischen Patienten" ab. Teile des Wüstendramas wurden hier in den Schluchten der Bergoase Chebika gedreht.

Wir haben das "Tor zur Wüste" erreicht. Die Sandformationen erinnern an die Gemälde von Marc Rothko (1903-1970). Die Dünenrücken sehen wie arabische Kalligraphien aus. Während die Erde rund fünf Milliarden Jahre zählt, sind die meisten Wüsten nur fünf Millionen Jahre alt.Erforscht wurden sie erst im 20. Jahrhundert. Der Pilot und Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry war einer der ersten Europäer, die weiter in die Wüste vordrangen. "Wind, Sand und Sterne", so heißt sein Werk über die Söhne der Wüste. Hinter der Oase Tozeur beginnt der Chott el Djerid, Tunesiens großer Salzsee. Schnurgerade durchschneidet eine Piste das Gebiet. Die Oberfläche des Sees besteht aus Salzkristallen. Darunter befindet sich tonhaltiger Schlamm. Wir erreichen Douz, ein Dorf in der Wüste. Gewirr auf dem Markt.

Es riecht nach Kurkurma, Sandelholz und Weihrauch. Orient pur!

Wir treffen Fahrer der Wüstenrallye "El Chott". Für die Profis übt der Sand eine weitere Faszination aus: Dünenfahren ist wie Windsurfen oder Skifahren. Es ist ein Pendeln, Wedeln, Schaukeln durch den tückischen Sand. Man muss ein Drittel Luft ablassen und das Gewicht nach hinten verlagern. Sonst überschlägt man sich. Ich steige ab. Mein Fuß versinkt im weißen Staub. Wie ein feiner Dunst regnet er herab. Er scheint leichter als die Luft zu sein. Ein dünner Film bleibt auf der Haut zurück. Im "Fesch-Fesch" unterwegs zu sein, das bedeutet über einige Fahrkünste zu verfügen. Vor Ksar Ghilane tauchen Tuareg auf. Blaue Reiter, Söhne der Wüste. Wir baden in heißen Quellen. Käfer und Skorpione krabbeln über den Sand.

Afrika, wie es leibt und lebt. Sobald die Sonne sinkt, erkaltet der Sand, Wind kommt auf. Die Sterne leuchten so klar, wie ich sie schon lange nicht mehr sah.

In diesem magischen Licht entdecke ich fließenden Sand. Wie ein kühler Nebel schleicht er die Dünen herab. Er speichert die Sonne nicht, sondern gibt seine Wärme in den Weltraum ab. Wind, Sand und Sterne. Hier sind sie eins.

Copyright an Text & Bild: Boris Klinge.